Teil 1 von 2
Von Katharina Fichtner, Sozial- und Wildnispädagogin
Kinder spielen aus dem gleichen Grund wie Wasser fließt und Vögel fliegen. Fred O. Donaldson
Kinder und Bäume passen gut zusammen. Beide brauchen erst feste, weit verzweigte Wurzeln, bevor sie scheinbar in den Himmel wachsen. Ach, wie lieben wir – naturbewegte Erwachsene – Bilder von Kindern, die auf Bäumen sitzen oder im Grünen spielen! Aber im Alltag ist es gar nicht so einfach, einen Naturausflug zu unternehmen, der für Klein und Groß passt. Wie kann es klappen, dass es ein Gewinn für die ganze Familie wird?
Gehe wir auf Spurensuche der kindlichen Natur:
Wald heilt!
Zahlreiche Studien belegen, was intuitiv jeder weiß. Wald heilt. Blutdruck und Stresshormone verringern sich, Aggression nimmt ab, Kreativität und Konzentration nehmen zu bei Aufenthalt im Wald bzw. im Grünen. Es wurde sogar eine entzündungshemmende Wirkung bei Aufenthalt im (Nadel-) Wald nachgewiesen. In Japan wird „Waldbaden“ als Medizin gegen Krankheiten vom Arzt verschrieben.
Wald macht stark
Nicht nur Muskeln werden aufgebaut vom vielen Über-Wurzeln-steigen, Äste-zum-Lager-schleppen und Auf-die-Bäume-klettern. Es macht unsere Kinder stark im Selbstvertrauen. Kinder, die sich regelmäßig in Wald und Natur aufhalten, werden ihr Revier immer besser kennen und ihre Reviergrenzen ausweiten – und somit ihre Komfortzone. Es macht sie stark im Selbstvertrauen und widerstandsfähiger für die Stürme des Lebens. Sie fühlen sich zunehmend sicherer, im Wald, in sich selbst, im Leben.
Wald macht auch stark in der Verbindung zu anderen Wesen. Umgang mit anderen Lebewesen wird eingeübt als selbstverständliches Miteinander. Das Schutzbedürfnis, das Kinder selbst haben, spiegelt sich häufig in dem einfühlenden Schutz, den sie Tieren und Pflanzen anbieten.
Wald macht erfinderisch
In der Natur werden Probleme nicht auf Knopfdruck gelöst. Auch vorgefertigtes Spielzeug ist nicht vorhanden. Improvisation ist das Gebot der Stunde. Man muss improvisieren, wenn man einen Bach ohne Brücke überqueren will. Der Geist wird geweitet und Kommunikation mit anderen grundgelegt. Studien haben ergeben, dass die Geburtsstunde vieler wichtiger Erfindungen in der Natur stattgefunden hat.
Wald macht feinfühlig
Wer mit einer Gruppe Kinder regelmäßig in den Wald geht, kann feststellen, dass sie anfangs oft sehr laut sind, mit der Zeit aber immer ruhiger werden. Sie kommen an in der feinen Schwingung des Waldes, in der Welt der Langsamkeit und Stille (die jedoch auch mal laut und bedrohlich werden kann). Sie begegnen toten Tieren oder umgestürzten Bäumen. Dies ist ein unvermeidlicher Teil des Lebens. Sie lernen, wie empfindlich und schutzbedürftig Leben ist. Sie treten ein in das unsichtbare Band, das alles Lebendige verbindet.
Wald macht schlau
Hirnforscher haben festgestellt, dass Informationen im Kopf umso länger abrufbar bleiben, je mehr Sinne bei der Lernerfahrung zum Einsatz gekommen sind. Wenn ein Kind (oder ein Erwachsener) eine Lärche nur durch Foto und Wort kennen lernt, bilden sich viel weniger Nervenstränge im Hirn aus, als wenn es im Schatten der Lärche spielt, im Frühjahr mit seinen frischen Nadeln Tee kocht, sein Harz auf den Händen kleben hat, Lärchenholz sammelt, um Wärme in eine kalte Nacht zu bekommen und Vögel in seiner Baumkrone singen hört. Dann wird Information zu Wissen und Lernen zu Kompetenz. Es bringt unsere nachwachsende Generation zu vernetztem Lernen, Denken und Handeln, das wir so dringend für eine zukunftsfähige, friedliche Welt brauchen.
Gefahren in der Natur
Pass auf! Die Welt ist gefährlich!
Oftmals ist die Sorge um Gefahren in der Natur ein zu großes Hemmnis, um unbeschwert in ein Abenteuer hineinzuschlüpfen. Ja, es gibt Gefahren da draußen und ja, das Leben ist lebensgefährlich. – Gerade deshalb müssen Kinder sich damit auseinander setzen! Nicht alle Möglichkeiten der Begegnungen mit Gefahren vermeiden, sondern vielmehr eine behutsame Auseinandersetzung damit macht Kinder kompetent. Als kleine Kinder fallen sie sanfter denn als große. Welche Welt werden sie später gestalten, wenn sie nie gelernt haben, damit umzugehen, in den Bach zu fallen, in ein Wespennest zu steigen oder sich am Feuer zu brennen? Dies soll jedoch nicht heißen, dass Erwachsene leichtfertig wegsehen, wenn es um Gefahren geht. Das Gegenteil ist der Fall – ein behutsames Gefahrenmanagement braucht viel mehr Aufmerksamkeit und Kompetenz als ein striktes Verbot.
Kinder suchen – so der Erziehungswissenschaftler Ulrich Gebhard, zweierlei in der Natur: Die Beständigkeit und die stete Veränderung. Zunächst scheint dies wie ein Widerspruch – jedoch sind es zwei Seiten einer Medaille. Der Wald, der sich ständig ändert, z.B. durch die Jahreszeiten, lässt doch bestimmte Elemente beim Alten: Der Dachsbau, das Rauschen des Baches, der alte, knorrige Baum am Wegesrand. Die Gesetze des Lebens eben.
Der Wald als Spiegel der Seele
– für unsere Kinder genauso wie für uns Erwachsene. Wenn wir mit der Entdeckerfreude und Neugier der Kinder dem Wald begegnen, gepaart mit dem behutsamen Hintergrund der Erwachsenen, damit „nichts Schlimmes“ passieren kann, dann gibt es eine Begegnung auf Augenhöhe in Respekt, mit allem, was lebt: Kinder, Tiere, Pflanzen, Ich. Dann werden Zeit, Hunger und Sorgen vergessen. Dann kommt man heim mit einem Sack voller zukunftsfähiger Geschichten.
Herausspaziert!